Loslassen


AUF DER LETZTEN BUCHMESSE IN LEIPZIG SAH ICH BEI EINEM RUNDGANG ÜBER DAS MESSEGELÄNDE PLÖTZLICH TIBETANISCHE MÖNCHE, DIE SICH IN KALIGRAPHIE ÜBTEN UND AUF WUNSCH DEN BESUCHERN BESTIMMTE ZEICHEN MALTEN UND GLEICHZEITIG DEN WARTENDEN TEE EINSCHENKTEN, ALLES GESCHAH LAUTLOS VON VIELEN GESTEN BEGLEITET.
ALS ICH ZUSAH, WIE EIN MÖNCH MIR MEINEN TEE ZUBEREITETE SCHOB MIR EIN ANDERER EINE LISTE MIT ZEICHEN ZU, AUS DER ICH WÄHLEN KONNTE. ICH FAND VIELE ZEICHEN, WIE GLÜCK, HARMONIE, LIEBE, UVM. UND DAS ZEICHEN FÜR LOSLASSEN.
DAS WÄHLTE ICH SPONTAN, WEIL ICH ES ALS MEIN ZEICHEN ERKANNTE. ES SOLLTE MIR DIE RICHTUNG WEISEN, ICH, DIE ALLES FESTHIELT, SOGAR DIE GEDANKEN FESTHALTEN WOLLTE.

DAS ZEICHEN WURDE NUN MIT SEHR VIEL LIEBE UND TALENT AUF EIN KLEINES DÜNNES BLATT VEREWIGT UND MIT ZWEI ROTEN STEMPELN UNTEN LINKS UND OBEN RECHTS VERSIEGELT.
ICH NAHM DAS BLATT AN MICH UND VERNEIGTE MICH HULDVOLL, NICHT ABER, OHNE EINE KLEINE SPENDE IN DAS DAFÜR VORGESEHENE KÄSTCHEN ZU GEBEN, UND VERLIEß DEN STAND DER MÖNCHE MIT DEN KALHLEN KÖPFEN UND DEN ORANGEFARBENEN KUTTEN.

 

ES WAR FÜR MICH EIN ERLEBNIS SIE AUCH AUS DER FERNE NOCH ZU BETRACHTEN, WIE LAUTLOS ALLES VOR SICH GING. SPÄTER STELLTE ICH FEST, DASS SIE IN BERLIN AUCH EINEN ORT HABEN, WO SIE ZU FINDEN SIND.

DAS ZEICHEN STEHT NUN FÜR MICH UND JEDEN MEINER BESUCHER SICHTBAR GESCHÜTZT IN EINEM SILBERNEN RAHMEN UND WEIST MIR DEN WEG, TAGEIN, TAGAUS.

INZWISCHEN HABE ICH MITTELS DIESER ERFAHRUNG UND DER GESCHICHTE ZU DEM ZEICHEN MEINEN DREI COUSINEN ERZÄHLT UND SIE GEBETEN, IHRE MUTTER, DIE IM STERBEN LAG, LOSZULASSEN. MEINE TANTE WOLLTE UND KONNTE NICHT GEHEN, WEIL IHRE KINDER SIE NICHT IN RUHE LIEßEN UND SIE NICHT DEN EWIGEN SCHLAF FINDEN KONNTE: NUN HAT SIE IHN GEFUNDEN UND ICH HABE MEINEN COUSINEN DAS GEFÜHL GEBEN, RICHTIG GEHANDELT ZU HABEN.

NOCH EIN BEISPIEL HABE ICH ERLEBEN DÜRFEN. EIN AUTOR, DER SEIN BUCH FIX UND FERTIG HATTE, ER WOLLTE EINFACH NICHT GLAUBEN, DASS ES NICHTS MEHR ZUTUN GAB. SEIN AGENT BESTELLTE MICH IN DIE AGENTUR UND ICH SPULTE FREI HERAUS WAS ICH ZU SAGEN HATTE, DENN ICH DURFTE DEN ERSTEN UMBRUCH KORREKTUR LESEN, ES HATTE MICH DERART ERGRIFFEN, DASS ICH FROH WAR, IHM, DEM AUTOR DAS EINMAL PERSÖNLICH SAGEN ZU DÜRFEN. DAS BUCH WAR GROßARTIG, DER AUTOR HATTE ETWAS ZU SAGEN UND HAT ES GESAGT - DAS FINDEN SIE NICHT OFT IN BIOGRAPHIEN.

DER AUTOR ZEIGTE SICH GERÜHRT UND BESCHÄMT MEINER GUTEN WORTE, DENN ALLE IM RAUM, AUßER IHM WAREN ÜBERZEUGT VON DIESEM BUCH, DAS SEINE LESER FINDEN WÜRDE, SO, WIE ER SEINE ZUSCHAUER IMMER BEGEISTERN KONNTE.
NATÜRLICH DARF ICH DEN NAMEN NICHT PREISGEBEN, ABER ALS SEIN AGENT AM NÄCHSTEN TAG ZU EINEM TREFFEN IN DEN VERLAG FUHR, BESTELLTE ICH DEM AUTOR NOCH EINMAL EINEN GRUSS UND DIE BITTE, DASS ER DAS BUCH DOCH LOSLASSEN MÖGE, DA ES NUN FERTIG SEI UND WENN ER MEINE WORTE NICHT VERSTEHEN KÖNNE, DANN MÖGE ER MICH DOCH ANRUFEN.
ER HAT NICHT ANGERUFEN! DAS BUCH IST IM DRUCK.


FAZIT

MAN MUSS SCHON EINE KRAFT AUFBRINGEN - SICH VON DINGEN ZU BEFREIEN,
DIE FERTIG UND ALS ABGESCHLOSSEN GELTEN KÖNNEN,
WEIL SIE UND NUN NICHT MEHR WICHTIG
UND ANDERE DINGE WICHTIG GEWORDEN SIND.
IM MANAGEMENT SAGT MAN AUCH: PRIORITÄTEN SETZEN.

MAN KANN ALLES LOSLASSEN, WENN MAN NUR WILL.

INGE KASAN


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© Inge Kasan